Mädchen können mehr ein Gastbeitrag von Carolin Kebekus
130 Millionen Mädchen auf der Welt gehen nicht zur Schule. Besonders in den von Armut geprägten Gegenden bleibt ihnen der Zugang zu Bildung verwehrt. Für eine Organisation reiste die Komikerin Carolin Kebekus nach Sambia und berichtet von ihren Erfahrungen.
Aufschrei
In meinen Programmen ging es
schon immer um Themen, die Mädchen und Frauen betreffen. Immer lustig verpackt,
aber natürlich auch mit ernstem Hintergrund.
Als die Debatten um #Aufschrei
oder #metoo losgingen, habe ich mich ehrlich gesagt gewundert, wie viele
überrascht waren oder zumindest so getan haben, als seien sie überrascht. Muss
denn jedes Mal erst ein Damm brechen, bis die Leute verstehen, dass die Realität
für Frauen eine andere ist als für Männer?
Mir geht es dabei nicht nur um die
kleine Welt der Brüderles, Weinsteins oder Trumps:
Überall auf der Welt haben
Mädchen und Frauen mit Herausforderungen zu kämpfen, die Jungen und Männer oft
nicht einmal wahrnehmen.
„Armut ist sexistisch“
So bin ich auf ONE gestoßen. Eine
internationale Lobby- und Kampagnenorganisation, die sich für das Ende extremer
Armut in der Welt einsetzt und vor einigen Jahren die Kampagne „Armut ist
sexistisch“ ins Leben gerufen hat. Damit macht die Organisation darauf aufmerksam, dass
Mädchen und Frauen weltweit am stärksten von Armut betroffen sind. Das trifft
auf alle Bereiche des Lebens zu: Geld, Gesundheit oder auch Bildung.
Gerade
Bildung ist für viele Menschen der einzige Weg aus der Armut. Doch weltweit
gehen noch immer
130 Millionen Mädchen nicht zur Schule. Würden sie ein Land
bilden, wären sie das zehntgrößte der Erde.
Je ärmer
ein Land ist, desto größer ist der Anteil der Mädchen, die keinen Zugang zu
Bildung haben. In ganz Subsahara-Afrika liegt die Zahl der Mädchen, die nicht
zur Schule gehen, mit 51 Millionen deutlich höher als die der Jungen (45
Millionen).
Gleiche Rechte
Nicht, dass ich falsch verstanden
werde: Ich will hier keinen bevorzugen. Ich bin für gleiche Rechte für alle –
Jungen wie Mädchen. Aber Fakt ist auch, dass Mädchen gerade in ärmeren Regionen
der Welt die größere Arschkarte ziehen. Jährlich werden über 700.000 Mädchen
verheiratet bevor sie volljährig sind. Besuchen Mädchen keine Schule, ist ihr
Risiko, sich mit HIV anzustecken und jünger zu sterben, wesentlich höher.
Selbst wenn Mädchen eine Grundschule abschließen, entscheiden sich die Eltern
bei Geldmangel im Zweifel eher dafür, die Söhne auf die weiterführende Schule
zu schicken. Den Mädchen bleiben dann meist nur der Haushalt und die (frühzeitige)
Heirat.
Großes Potential
Aber das muss nicht so sein. Es gibt nämlich auch eine gute Nachricht: Mädchen und Frauen haben auch das größte Potential, extreme Armut zu beenden. Und da soll nochmal einer sagen, Frauen seien nicht das starke Geschlecht. Wenn alle Frauen eine abgeschlossene Grundschulbildung hätten, würde die Zahl der Müttersterblichkeit weltweit um 70 Prozent sinken. Durch Zugang zu Bildung verdienen sie später deutlich mehr Geld und das investieren sie meist sinnvoll in ihre Familie und Gemeinschaft. Entwicklungsländer hätten jährlich 112 Milliarden US-Dollar mehr in den Staatskassen, wenn Mädchen denselben Bildungszugang hätten wie Jungen.
#GirlsCount
Um auf den fehlenden Zugang zu Bildung aufmerksam zu machen, hat ONE die Aktion #GirlsCount ins Leben gerufen. In einer kurzen Videobotschaft nennt dort jeder, der will, eine Zahl zwischen 1 und 130 Millionen, um den betroffenen Mädchen eine Stimme zu geben. Alle Videos zusammen ergeben das längste Protestvideo der Welt.
Besuch in Sambia
Vergangenes Jahr hat mich ONE zu
einer Reise nach Sambia eingeladen, bei der wir gemeinsam Entwicklungsprojekte
vor Ort besucht haben.
Beim Besuch einer Schule ist mir als erstes aufgefallen,
wie enthusiastisch der Unterricht begangen wurde – sowohl von den Schülerinnen
und Schülern als auch den Lehrerinnen und Lehrern. Und das trotz riesiger
Klassen, fehlender Lehrmaterialien und mangelndem Lehrpersonal. Als ich eine
angehende Lehrerin darauf angesprochen habe, sagte sie mir ohne ironischen
Unterton, dass sie Lehrerin werden wolle, um ihr Land zu verändern. Auch, wenn
es pathetisch klingt: Sie empfand ihren Job nicht als Beruf, sondern als
Berufung. Da wurde mir klar: Wir brauchen viel mehr davon, um die weltweite
Bildungskrise zu beenden.
Mädchen wollen lernen
Anfang Februar bittet die Globale
Bildungspartnerschaft (GPE) die internationale Gemeinschaft
um Geld, damit sie ihre Arbeit in den kommenden drei Jahren
fortsetzen kann. Die GPE hat sich zum
Ziel gesetzt, die Bildungssysteme in Entwicklungsländern zu verbessern. Derzeit unterstützt die Bundesregierung die GPE mit sieben Millionen Euro jährlich – nicht gerade viel, wenn es darum geht,
130 Millionen Mädchen in die Schule zu bringen.
Wenn
Deutschland seinen Anteil, wie von vielen NGOS gefordert, auf 100 Millionen Euro jährlich steigern würde, könnte die GPE damit in
den nächsten drei Jahren unter anderem 2,9 Millionen Kindern eine
Grundschulbildung ermöglichen, 255.000 Lehrkräfte ausbilden und 30 Millionen
Schulbücher austeilen.
Armut ist sexistisch. Es wird Zeit, dass sich das ändert.
Über ONE
ONE ist eine entwicklungspolitische Lobby- und
Kampagnenorganisation, die sich für das Ende extremer Armut und vermeidbarer
Krankheiten einsetzt, insbesondere in Afrika. Im Dialog mit der Öffentlichkeit
und politischen Entscheidern setzt sich die Organisation für kluge und effektive
Politikansätze und Programme ein, um Aids und vermeidbare Krankheiten zu
bekämpfen, Investitionen in Landwirtschaft und Ernährung zu erhöhen und mehr
Transparenz in Armutsbekämpfungsmaßnahmen zu schaffen. Knapp 9 Millionen
Menschen unterstützen die überparteiliche Arbeit mit ihrer
Stimme.
RND-Artikelserie Bildung weltweit
Sechs von zehn Kindern können nicht ausreichend lesen und rechnen. 264 Millionen Kinder gehen nicht zur Schule, weil ihnen der Zugang verwehrt wird. Dabei kann Bildung Konflikte, Krisen und Flucht eindämmen. In einer siebenteiligen Reihe berichten Unterstützer und Vertreter verschiedener Organisationen für das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) über die Herausforderungen der globalen Bildung.