Bestandsaufnahme Gurlitt Chronologie einer deutschen Geschichte
Von Geraldine Oetken / RND
2010
2010
2010
Ein Koffer brachte die Steuerfahndung auf die Spur des spektakulären Schwabinger Kunstfundes in der Münchner Wohnung von Cornelius Gurlitt. 2012 wurden schließlich die Werke beschlagnahmt.
2013
Der "Focus", der im November 2013 über den Kunstfund berichtete, bezifferte den Wert mit Bildern von Matisse, Pechstein, Monet, Liebermann oder Chagall mit einer Milliarde Euro - diese Zahl wurde später stark nach unten korrigiert. Nach heutigen Schätzungen ist die Sammlung etwa 50 Millionen Euro wert.
Als Hitlers Kunsthändler wurde Hildebrand Gurlitt nun posthum berühmt, sein Sohn Cornelius besaß den Hauptteil der Sammlung, die Tochter Benita Renate einen kleineren Teil. Die Bundesregierung richtete eine Taskforce ein, die klären sollte, welche Bilder unrechtmäßig während des Nazi-Regimes geraubt wurden und welche Hildebrand Gurlitt rechtmäßig gekauft hat.
Die Bilanz: Zehn der insgesamt 1584 Werke aus dem Erbe Hildebrand Gurlitts sind höchstwahrscheinlich Raubkunst. Bei einem großen Teil der Sammlung kann im Nachhinein nicht mehr lückenlos nachvollzogen werden, wer wann die Werke besessen hat.
2014
Der Kunsthistoriker Cornelius Gurlitt verstarb 2014 im Alter von 81 Jahren. Seine Sammlung vererbte er an das Kunstmuseum Bern, das aber nur Bilder annimmt, die nicht raubkunstverdächtig sind.
2017
In Bern und Bonn eröffnete bereits eine zweiteilige Ausstellung zum Fall Gurlitt. Nun widmet sich der Martin-Gropius-Bau in Berlin mit einer Ausstellung vom 14. September 2018 bis zum 7. Januar 2019 dem Kunsthändler.
Sammlung oder Händlerbestand? Die Werke im Erbe von Hildebrand Gurlitt sind bunt gemischt in Sujet, Epoche und Technik.
Provenienzforschung
Provenienzforschung
1588 Werkpositionen bilden den gesamten Nachlass von Hildebrand Gurlitt.
10 Werke wurden bisher als Raubkunst identifiziert. Sechs Arbeiten davon stammen aus dem Bestand von Cornelius Gurlitt, vier aus dem Erbe von Benita Renate.
Etwa 500 Werke stammen aus der Beschlagnahme-Aktion "Entartete Kunst". Diese gelten nicht als Raubkunst, weil sie aus Museen stammen, und gehen nun in den Bestand des Kunstmuseums Bern über.
Bei einem Großteil der Sammlung ist die Provenienz aber noch nicht lückenlos geklärt - und wird vielleicht auch nie geklärt werden. Zunächst hatte sich die Taskforce Schwabinger Kunstfund um die Aufklärung der Provenienz gekümmert, nachdem die Taskforce geschlossen wurde, übernahm das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste diese Arbeit.
1964
Der Kunsthändler Hildebrand Gurlitt starb 1956 an den Folgen eines Verkehrsunfalls. Seine Kinder Benita Renate und Cornelius Gurlitt erbten die Sammlung.
"Und was wurde aus seiner Sammlung? Freust Du dich überhaupt an dem, was Du davon in Salzburg hast? Sein persönlichstes, wertvollstes Erbe hat sich, so scheint mir manchmal, für uns in die dunkelste Belastung verwandelt. Mir wird jedesmal ganz Angst, wenn ich nur daran denke. Was hier steht, ist im Graphik-Schrank eingeschlossen oder hinter Vorhängen mit Reißzwecken eingesperrt - niemand sieht es, niemanden freut es. Man denkt dabei an Steuerfahndung, Kriegsgefahr, Familienkräche."
Das schreibt Benita Renate 1964 in einem Brief an ihren Bruder Cornelius Gurlitt.
1953
1953
Charles Dominique Joseph Eisen "Pourquoy la chagriner? Elle est jolie et sage" (1768)
Vier Zeichnungen begleiteten die jüdische Industriellen-Familie Deutsch de la Meurthe durch ihr Leben: Die lieblichen Tuschezeichnungen von Charles Dominique Joseph Eisen, Augustin Saint-Aubin und Anne Vallayer-Coster hingen an den Wänden ihres Pariser Wohnhauses - bis die deutschen Besatzer ihren Besitz konfiszierten.
Henry Deutsch de la Meurthe starb bereits 1919 bei einem Flugunfall, seine Frau Marguerite 1941, seine Tochter Suzanne 1937 - wie ist allerdings unklar.
Allerdings war es nicht Hildebrand Gurlitt, der die Zeichnungen daraufhin erworben hat. Raphael Gerard erwarb sie im April 1944. Gurlitt kaufte sie ihm 1953 ab. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits seit 1948 Direktor des Kunstvereins für die Rheinlande und Westfalen.
Dass die Zeichnungen Raubkunst sind, wurde erst fünf Tage vor Eröffnung der Berliner Ausstellung bekannt. Laut dem Deutschen Zentrum Kulturgutverluste wurden die Nachfahren der Familie Deutsch de la Meurthe kontaktiert. Sie begrüßten die Ausstellung der Werke in Berlin. Danach werden die Arbeiten an die Nachfahren zurückgegeben.
Die vier Zeichnungen, hier ist eine von Eisen zu sehen, stammen nicht aus dem Schwabinger Kunstfund von Cornelius Gurlitt, sondern aus dem Bestand seiner Schwester Benita Renate, die 2012 verstarb. Sie besaß 18 Werke aus dem Erbe ihres Vater.
1945
1945
Wilhelm Lachnit - Mädchen am Tisch (1923)
Fritz Salo Glaser war ein Dresdner Rechtsanwalt und das Gemälde "Mädchen am Tisch" ein durch und durch Dresdner Produkt: Auch der Maler, Wilhelm Lachnit, kommt aus der Stadt, in der Hildebrand Gurlitt ebenfalls geboren und aufgewachsen ist.
Glaser war als Jude Verfolgter des NS-Regimes. Um der Enteignung zu entgehen, überschrieb er sein gesamtes Eigentum seiner Frau, die nicht jüdischen Glaubens war. Im Februar 1945 hätte Glaser nach Theresienstadt deportiert werden sollen, doch nach der Bombennacht von Dresden am 12. Februar 1945 konnte sich Glaser verstecken. Wann Gurlitt das Mädchen am Tisch erwarb, ist unklar. Zwischen 1929 und 1945 klafft eine große Lücke in der Geschichte des Bildes. "Provenienz in Aufklärung" steht neben der Bildbeschreibung im Katalog.
Hildebrandt Gurlitt rettete sich zum Kriegsende mit Familie und Sammlung nach Oberfranken in das Schloss eines Freundes. Die amerikanischen Besatzer beschlagnahmten den Großteil seiner Sammlung. Gurlitt hatte aber auch einen Teil seiner Kunstwerke versteckt gehalten. Der Kunsthändler schaffte es, sich nicht als Profiteur des Nazi-Regimes darzustellen, gab die Herkunft der Kunstwerke teilweise falsch an. 1950 erhielt er seine konfiszierten Werke zurück.
1944
1944
Jean-Louis Forain - Dame im Profil (1881)
Diese Dame im Profil kommt aus Frankreich. Geschaffen vom Früh-Impressionisten Jean-Louis Foriain war das Gemälde lang im Besitz des jüdischen Notars und Rechtsanwalts Armand Dorville aus Paris. Im Spätsommer 1941 floh der Jurist in den Südwesten Frankreichs, wo er in der Dordogne ein Schloss besaß. Dort starb er. Bereits zu diesem Zeitpunkt konnte die deutsche Besatzungsmacht so viel Druck auf die französische Regierung ausüben, dass die Geschwister von Dorville das Erbe nicht erhielten - obwohl sie dazu berechtigt gewesen wären. Nahezu alle Familienmitglieder wurden verhaftet, deportiert und ermordet.
1942 wurde die Sammlung Dorvilles in einer Auktion in Nizza versteigert, wie das Bild "Dame im Profil" in Gurlitts Sammlung gelangte, konnte auf Basis der Dokumente nicht geklärt werden. "Provenienz in Abklärung" wird der Bildbeschreibung hinzugefügt.
Hildebrand Gurlitt war noch 1944, während die Alliierten bereits in der Normandie landeten, in Paris unterwegs. Und zwar im Auftrag von Adolf Hitler, um Kunstwerke für das geplante "Führermuseum Linz" zu erwerben.
1942
1942
Max Liebermann - Selbstporträt des Künstlers mit Skizzenbuch (nach 1914)
"Herrn Baunthal freundschaftlich" steht als Widmung auf dem Selbstportrait des expressionistischen Künstlers Max Liebermann. Den Künstler und den Frankfurter Max Braunthal verband eine Freundschaft, wie auch die Widmung verrät - und der Händler war ein großer Fan von Liebermanns Arbeiten. In den 30er Jahren bis 1944 verkaufte der jüdische Kaufmann Werke aus seiner Sammlung, wohl um den Lebensunterhalt für sich und seine Familie zu sichern. Aus Paris schaffte es seine Tochter Lotte, 1941 nach Amerika zu emigrieren - ihr Hab und Gut, darunter auch Zeichnungen, wurde in Rotterdam beschlagnahmt. Max Braunthal und seine Frau konnten sich in Frankreich mit einer falschen Identität in einem Dorf verstecken.
Wie die Zeichnung genau in Hildebrand Gurlitts Besitz gelangt ist, ist heute nicht mehr nachzuvollziehen. Über die Beschlagnahmung in den Niederlanden? Über einen befreundeten Kunsthändler?
1941
1941
Otto Mueller - Bildnis Maschka Mueller (1924/1925)
Das Portrait von Maschka Mueller, die erste Ehefrau des Expressionisten Otto Mueller, gehörte bereits kurz nach seiner Fertigstellung ab 1925 zum Bestand des Wallraf-Richartz-Museums in Köln.
In München wurden 1937 650 verfemte Kunstwerke in einer von Joseph Goebbels organisierten Schau gezeigt - die Kunst der Moderne galt nun als "entartet". Eine Kommission des Hitler-Regimes ließ nun in den Museen des Reiches Werke, die als "entartet" angesehen wurden, beschlagnahmen. So auch das Bildnis von Maschka Mueller.
Zunächst kaufte der Schweizer Galerist Theodor Fischer das Bild, Hildebrand Gurlitt erwarb es 1941.
1940
1940
Ernst Ludwig Kirchner - Zwei Akte auf Lager (Zwei Modelle), 1907/1908
Für Ernst Ludwig Kirchner, ein Maler der expressionistischen Künstlergruppe "Die Brücke" in Dresden, haben diese zwei Damen nackt posiert.
Hildebrand Gurlitt war schon in den 1920er Jahren ein Anhänger des Expressionismus. Als junger Direktor modernisierte er die Sammlung des König-Albert-Museums in Zwickau durch den Ankauf von Arbeiten der Moderne ab 1925. Aus dieser Sammlung stammt auch diese Zeichnung von Kirchner. 1929 musste Gurlitt sogar seinen Posten auf Druck von konservativen Kreisen und dem nationalsozialistischen "Kampfbund für deutsche Kultur" räumen und kehrte nach Dresden zurück.
1940 - 1950
1940 - 1950
Georges Seurat - Spaziergängerin (ungefähr 1881)
Wie schwierig die Provenienzrecherche sein kann, zeigt das Beispiel der "Spaziergängerin" von Georges Seurat. In über 20 Zeichnungen kümmerte sich Seurat um dieses Motiv, häufig tragen diese Arbeiten deswegen denselben Titel. Weil "Die Spaziergängerin" aus dem Konvolut Gurlitt dadurch so schwer zu identifizieren ist und viele der losen Fäden der Provenienzforschung ins besetzte Frankreich führen, steht die Zeichnung noch unter Raubkunstverdacht.
Mehrere Vorbesitzer kommen in Frage: das Ehepaar Ludwig und Margret Kainer, die von den Nationalsozialisten in Berlin enteignet wurden, aber auch französische Sammler. Irgendwann in den 1940er Jahren muss Gurlitt die Zeichnung erstanden haben. Ein Experte, mit dem Gurlitt öfter zusammen gearbeitet hat, hat 1941 die Echtheit des Werkes bestätigt. Nach dem Krieg wurde diesem Experten vorgeworfen, auch mit Raubkunst gehandelt zu haben. Wie die Zeichnung aber genau in Gurlitts Hände gelangte, ist nach heutiger Informationslage nicht mehr nachzuvollziehen.
1937 August Macke - Landschaft mit Segelbooten (1913)
Bis 1937 war das Bild "Landschaft mit Segelbooten" des expressionistischen Malers August Macke im Besitz der Nationalgalerie in Berlin. Da es als "entartet" galt, wurde es beschlagnahmt und an Privatpersonen verkauft.
Hildebrand Gurlitt hat es wahrscheinlich nach dem 16. August 1937 für 40
Schweizer Franken
erworben.
1933
1933
1933 ergriff Hitler die Macht. Hildebrand Gurlitt weigerte sich, auf dem Dach des Hamburger Kunstvereins die Flagge des NS-Regimes zu hissen. Das kostete ihn seine Stelle als Direktor. Der Kunsthistoriker sattelte um und öffnete als Kunsthändler seine eigene Galerie, das "Kunstkabinett Dr. H. Gurlitt".
1935 traten die Nürnberger Rassengesetze in Kraft. Hildebrand Gurlitt galt durch diese Gesetze als "Mischling 2. Grades". Seine Großmutter war getaufte Jüdin. Sein Geschäft schrieb er, um sich vor Enteignung zu schützen, auf seine Frau Helene Gurlitt um.
1923 Claude Monet - Waterloo Bridge (1903)
1923 Claude Monet - Waterloo Bridge (1903)
Ist das Gemälde von Claude Monet ein altes Familienerbstück? Hildebrand Gurlitt ließ sich 1938 von seiner Mutter bestätigen, dass er das Bild "Waterloo Bridge" zur Hochzeit 1923 geschenkt bekommen hat. Das klingt nach einer klaren Sache: Die Waterloo Bridge ist ein Familienerbstück.
Doch bleiben bei diesen eindeutigen Primärquellen dennoch Fragen offen: Warum ließ sich Hildebrand Gurlitt den Besitz des Kunstwerks erst 15 Jahre nach der Vermählung bescheinigen?
Das Kunstwerk trägt das Prädikat "Provenienz in Abklärung, aktuell ein Raubkunstverdacht".
1919 Cornelia Gurlitt - Ohne Titel (Zwei Frauen) - ohne Jahresangabe
Hildebrand Gurlitt meldete sich freiwillig als Soldat für den Ersten Weltkrieg, sobald er 18 Jahre alt war. Seine Schwester Cornelia war als Krankenschwester in seiner Nähe stationiert. Die Gurlitt-Kinder waren beide große Verfechter des Expressionismus, Cornelia selbst malte - und galt in einem kleinen Kreis als Meisterin auf dem Feld.
Nach dem Ende des Krieges wurde Cornelia depressiv, sie brachte sich 1919 um. Ihr Bruder Hildebrand Gurlitt wurde zum Verwalter ihres Nachlasses.